"Ist das noch Punkrock?" sangen jüngst unsere Volksmusikpunks in selbstironischer Weise und warfen damit eine interessante Frage auf.
Die Ärzte selbst haben ihre "asoziale" Phase längst hinter sich gelassen, damals, als sie noch mit ausgestrecktem Mittelfinger Richtung Rassismus, Kapitalismus und System wetterten. Heute tragen sie ihre Songs überwiegend auf die Rücken der Bürger aus. Aber wen interessiert denn noch diese Anti-Spießbürgertum-Agenda? Hausbesetzer und Aldipunks sicherlich nicht mehr, die können sich höchstwahrscheinlich nichtmal ihre CD's oder Konzertkarten leisten. Das Musikantenstadl hingegen dürften sie mittlerweile zum Explodieren bringen, denn zum kollektiven Mitschunkeln ist ihre Musik allemal geeignet, nebst hysterischem Gekreische der mitgeführten Enkel versteht sich. Die neue Zielgruppe des Punk??
Anders die Psychobilly-Punks von
Mad Sin. Als sich deren Gitarrist
Matt Voodoo kürzlich dazu entschloss, sein Talent bei der Castingshow "The Voice" (Auftritt
siehe hier) unter Beweis zu stellen, flog er kurzer Hand aus der Band. Die Begründung: "Derartige Formate lassen sich nicht mit dem Verständnis von Mad Sin vereinbaren.", und "[...]Mad Sin lassen sich von niemanden benutzen, verbiegen oder maßregeln". Zu guter Letzt distanzierte sich die Band von
Voodoo's Auftritt und natürlich auch von ihn selbst, als Eigenschaft eines Bandmitgliedes, stellte jedoch klar, dass die noch anstehenden Konzerte mit ihm stattfinden werden, um nichts ausfallen lassen zu müssen (vollständiges Statement der Band
siehe hier). Konsequent!
Irish Handcuffs:
Drei Männer, drei Akkorde. So banal könnte man
Irish Handcuffs aus Regensburg erklären. Die brauchen eben nicht mehr als Gitarre, Bass und Schlagzeug, ein Paar eingängige Melodien und Chöre, um ihren Pop-Punk auf den Punkt zu bringen. So haben
Green Day,
Jawbreaker und
The Lawrence Arms schließlich auch mal angefangen. Mittlerweile wird Pop-Punk immer pompöser und die Dorfjugend fährt nicht mehr auf dem Skateboard, sondern mit dem Mini-E-Roller zur Schule.
Irish Handcuffs ist das alles scheißegal, die besinnen sich bewusst auf die Anfangsjahre ihrer Vorbilder und die Naivität ihrer eigenen Jugend. Da, wo es noch ein Nervenkitzel war, als 14-jähriger Dosenbier im Dorfkonsum zu kaufen. Dass die Jungs natürlich nicht naiv sind, zeigen
Kötti's Erstband
Red Tape Parade und Forster's anderes Projekt
The Holy Kings (beide ebenfalls kostenlos via Bandcamp erhältlich)
.
Sparklefuck & PHOX:
Im Sommer 2012 liefen sich die fünf Punks von
Sparklefuck und die sechs Mitglieder der experimentellen Indiepop-Band
PHOX in der Wisconsischen Hauptstadt Madison über den Weg. Da die Bingohallen bereits überfüllt und Mikado als ein zu gefährlicher Sport eingeschätzt wurde, verlagerte man das fröhliche Beisammensein in den Proberaum von
PHOX. Und weil Fun-Punk und experimenteller Indiepop ja so gut miteinander können, wurde gleich mal zusammen gejammt. Gut, dass wenigstens einer der Beteiligten so geistesgegenwärtig war und den Rec-Knopf der Anlage drückte. Herauskamen nämlich vier äußerst verspielte, luftige - wer hätt's gedacht - experimentelle Indiepunk-Nummern. Das hätte schlimm enden können, lässt sich jedoch recht homogen anhören. Vereint wurden die vier Songs auf der "Unmasked-EP".
Gnarwolves:
Zugegeben,
Gnarwolves ist schon ein ziemlich blöder Bandname (übrigens entnommen aus der UK-Mini-Dokureihe "Frozen Planet"). Und dass sich dahinter vermutlich Fun- bzw. Pop-Punk verbirgt, sollte auch nicht das große Geheimnis sein. Aus Teilen
von
Kasa und
Rasputin und einem aufdringlichen Facebooker, formierte sich die Band 2011 im englischen Brighton. Binnen einen Monats war bereits ihre Debüt-EP "Fun Club" fertig, ihre zweite "Cru" folgte Mitte diesen Jahres. Journalisten feierten
Gnarwolves als das nächste große "Gruff-Punk-Ding", woraus schließlich auch gemeinsame Bühnenshows mit Größen wie
Touche Amore,
A Wilhelm Scream und
Basement resultierten. Was soll ich sagen, sie könnten recht haben. Gnarwolves verzichten in ihren recht kurzen Songs auf sich unnötig wiederholende Refrains und Textzeilen, nehmen wiederum auch gerne mal ein, zwei Akkorde zu den üblichen drei hinzu. Und mit Einlagen wie dem schwermütigen Riff in "Decay" und dem Parolengestampfe in "Reaper", blitzen auch noch etwas ihre Hardcorewurzeln hervor. Um sich das Podest mit
Hot Water Music,
Against Me! oder
Lifetime teilen zu können, bedarf es sicherlich noch etwas Kontinuität. Der Grundstein aber ist gelegt.
Kozmosz:
Ganz ehrlich, ich habe keinen blassen Schimmer, worüber diese Jungs hier singen. Was ich aber sagen kann ist, dass sich ungarisch mindestens genauso gut für Ska-Punk eignet, wie dänisch oder italienisch. Dabei sind
Kozmosz aus Budapest eigentlich keine reine Ska-Band. Ihrem ungarischem Gesang haftet stets etwas folkloristisches an, der Ska-Rap von "Az Okosak Földje" (Song) klingt stark nach 90ger-Crossover und der Song "Kesz" ist Modern Punk in Reinkultur. Kurzweilig und abwechslungsreich, wie man es von einer EP nicht unbedingt erwarten muss. Schönes Ding, Ungarn!
2009 haben die vier Oldenburger bereits mit ihrem "Demo I" für mächtig Furore bei den Kritikern gesorgt. Positiv wohlgemerkt. Da kann auch ich mich nicht herausnehmen, selbst wenn ich wollte, denn diese Art von Punk bietet nunmal sehr viele Angriffspunkte. Vielleicht auch, weil ihn schon so viele Bands praktizierten und dies immer noch tun.
Turbostaat, Pascow, Dackelblut, Frau Potz - man könnte noch so viele Namen in die Referenzenrunde werfen, und böses dabei denken. Muss man aber nicht.
Disco//Oslo haben vielleicht nicht gerade den originellsten Namen, dafür aber eine sehr eindeutige Handschrift, die sicherlich auch mal den neugierigen Blick zum Banknachbarn wagt.
Disco//Oslo sind aber nunmal Punks, und im Gegensatz zu unseren Politikern, um einiges geschickter. Klevere Texte werden in dynamische Melodien verpackt, niemals resignierend, aber wütend und angriffslustig. So hört man das gerne im Moshpit, so ganz ohne peinliche Gefühlsausbrüche oder Weichspülerei. Lasst euch also vom Bandnamen nicht abschrecken. Eine Hörprobe schadet (und kostet) ja nichts.